Ich kann das (noch) nicht.

geschrieben von STEPHAN FREILINGER

mindset The New Psychology of Success HOW WE CAN LEARN TO FULFILL OUR POTENTIAL
Selbstbild: Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt
Carol S. Dweck, Ph.D.

Du musst dich jeden Tag voll ins Zeug legen, um ein bisschen besser zu werden. Wenn du über einen längeren Zeitraum jeden Tag ein bisschen besser wirst, dann wirst du viel besser.
You have to apply yourself each day to becoming a little better. By becoming a little better each and every day, over a period of time, you will become a lot better.
JOHN WOODEN

Haben Sie schon mal den Rubik’s Cube in Angriff genommen? Können Sie mit drei Bällen jonglieren? Sind Sie handwerklich begabt oder haben Sie eher zwei linke Hände. Wie sieht es mit Ihrer Musikalität und mit Ihrem Rhythmusgefühl aus? Sind Sie gut im Verhandeln? Glauben Sie daran, dass jeder und jede diese Fähigkeiten erlernen kann oder sollte man seine von Gott oder den Eltern gegebenen Einschränkungen lieber akzeptieren.

Entweder hat man Talent, oder man hat es nicht. Das weiß doch jeder! Realistisch betrachtet, kann wohl kaum aus einer Schwäche eine Stärke werden; das wäre vergebliche Mühe und käme einem Kampf gegen Windmühlen à la Don Quichote gleich, oder sehen Sie das anders?

In Carol Susan Dwecks Buch MINDSET, das im deutschsprachigen Raum mit dem Titel SELBSTBILD veröffentlicht wurde, geht es um die Einstellung zur Lernfähigkeit, die sich massiv auf die Entwicklung von einzelnen Personen, aber auch von Organisationen und Unternehmen auswirkt.

Es wird zwischen einem FIXED MINDSET (wörtliche Übersetzung: „fixe Einstellung“) und einem GROWTH MINDSET (wörtliche Übersetzung: „Wachstums-Einstellung“) unterschieden. Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass die meisten Menschen, abhängig vom Kompetenzbereich (Musik, Sport, Zeichnen, digitale Kompetenz, …), beide Einstellungen, in sich tragen.

FIXED MINDSET

Das FIXED MINDSET (=FM) ist untrennbar mit dem Talent, das man entweder hat oder eben nicht, verbunden. Wer richtig talentiert ist, braucht kaum zu üben und wird den untalentierten Dilettanten überlegen sein, auch wenn diese noch so viel üben. Bei meiner Arbeit als Jobcoach und Trainer für Arbeitssuchende beiße ich regelmäßig auf Granit, wenn es um die Unterstützung von Leuten mit einem ausgeprägten FM geht.

Diese KursteilnehmerInnen sind lernresistent und nicht trainierbar, da sie es nicht für nötig erachten ihre Fähigkeiten zu verfeinern oder auf einem hohen Niveau zu halten. Sie neigen außerdem dazu, sich mit ihren Stärken zu überschätzen. Dazu kommt die Sorge, dass durch eine gut gemeinte Überprüfung der Fähigkeiten (z.B. durch einen Englischtest) die Defizite zum Vorschein kommen könnten.

Während Leute mit einem GROWTH MINDSET (=GM) eine Überprüfung ihrer Fähigkeit mit anschließendem persönlichem Feedback, gerne als Gelegenheit zur Verbesserung nutzen, gehen Leute mit einem FM in Deckung oder zum Angriff über. Es werden zudem dicke Schichten aus Ignoranz eingesetzt, um das Ego, das Selbstwertgefühl und die persönlichen Talente zu schützen.

Meine persönlichen Erfahrungen decken sich mit den von Carol Dweck geschilderten Erkenntnissen. In einem von Carol Dweck in ihrem Buch beschriebenen Schulversuch, bei dem es um IQ-Tests ging, zeigte sich, dass falsches Lob Kinder zu Lügner macht: 40 Prozent der Kinder, die für ihr Talent und ihre Intelligenz gelobt wurden waren, beschönigten ihre Testergebnisse im zu schreibenden Erfahrungsbericht.

Durch das falsche Lob wurden die Kinder in ein FM manövriert und korrumpiert. In der Vergleichsgruppe wurde ein GM gefördert, indem der Einsatz der SchülerInnen gelobt wurde. Diese Kinder logen weder sich selbst noch andere an und machten im Laufe der Studie große Fortschritte, während in der Vergleichsgruppe, die Leistungen schwächer wurden. Die Kinder mit dem GM liebten die Aufgabenstellungen auch im Verlauf der Studie und viele hatten die größte Motivation bei den schwierigsten Problemen.

Die Tendenz zum Beschönigen, zum Lügen und zum Betrügen ist aber nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen, die in einem FM-Kontext arbeiten, zu beobachten. Dies wird von der Autorin im Kapitel zu organisatorischen Mindsets geschildert.

GROWTH MINDSET

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Dieser Spruch ärgert Hans sehr. Er glaubt an sein Potential und trainiert smart und auch hart. Hans bleibt grün und möchte an sein Wachstum glauben; seine Motivation lässt er sich nicht rauben.

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans manchmal schon eher schwer, das ist keine Mär, Hans hat trotzdem Bock und verharrt nicht apathisch im Schock.

Leute mit einem GROWTH MINDSET (=GM) glauben daran, dass es möglich ist, sich Fähigkeiten und Talente anzueignen, wenn sie konsequent und über einen längeren Zeitraum lernen, trainieren und üben. Mit dem Leitsatz ICH KANN DAS NOCH NICHT und der leidenschaftlichen Überzeugung, es durch konsequentes Training hinzubekommen, ist Entwicklung und Lernen realisierbar.

Leute mit einem GM wissen auch, dass erhaltendes Training notwendig ist, um ein gewisses Niveau zu bewahren; das gilt für geistiges ebenso wie für körperliches Training. Wissenschaftliche Studien belegen, dass das Gehirn ähnlich wie ein Muskel funktioniert und auch im Erwachsenenalter flexibel bleibt.

Die neuronalen Netzwerke, die durch synaptische Verbindungen entstehen, werden durch häufige Verwendung verstärkt, was bei Untersuchungen der Gehirne (im Bereich des Hippocampus) von Londoner Taxifahrern nachgewiesen wurde. Dies ist vergleichbar mit der Hypertrophie vom Muskelgewebe durch Krafttraining. Wenn neuronale Netzwerke nicht mehr verwendet werden, kommt es zum gegenteiligen Effekt. Die synaptischen Verbindungen bilden sich zurück, was einer Atrophie gleichkommt.

TALENT

Harte Arbeit schlägt das Talent, wenn es das Talent verabsäumt hart zu arbeiten.
Hard work beats talent when talent fails to work hard.
KEVIN DURANT

Es ist nicht so, dass Talent gar keine Rolle spielt, aber mit Talent allein, schafft es niemand zur Weltspitze oder was noch wichtiger ist: Ohne Fleiß und smartes Training bringt man sein Talent nicht zur vollen Blüte.

Talent kann aber dafür sorgen, dass die Umwelt auf eine Fähigkeit aufmerksam wird. Spätestens dann kriegt man es auch selbst mit: Am 18. Oktober 2023 lief Marie-Therese, ein Mädchen der ersten Klasse der MS Kreuzschwestern, beim Lidl-Schullauf eine Distanz von 1600 Meter. Sie begeisterte das Publikum durch eine fulminante Bestzeit von 07:01, die sie mit einem ästhetischen und effizienten Laufstil ablieferte.

Marie-Therese siegte souverän und das obwohl sie im Gegensatz zu ihrer Konkurrenz von der Sporthauptschule gar nicht trainiert hatte. Laufen gehörte bis zum 18.10.2023 nicht zu ihren Hobbys; sie ging lediglich mit ihrer Familie spazieren.

Auch die „tschechische Lokomotive“ Emil Zátopek sah sich zunächst nicht als Läufer. Sein Talent wurde erst im Frühjahr 1941 im Alter von 18 Jahren entdeckt, als er widerwillig bei einem 1400 Meter Betriebslauf mitlief und Zweiter wurde. Zur Weltklasse avancierte er später durch hartes und smartes Training, bei dem auch Intervalltraining eine wichtige Rolle spielte.

GLAUBENSSÄTZE

Positive Glaubenssätze wirken förderlich für die Entwicklung von Fähigkeiten, während negative Glaubenssätze, wie z.B. „Ich bin einfach kein Sprachtalent!“ oder „Dafür bin ich zu blöd!“ die persönliche Entwicklung bremsen oder im Keim ersticken. Entscheidend ist es, die negativen Glaubenssätze aufzuspüren, durch konstruktivere Sätze auszutauschen und entsprechend zu handeln. Negative Glaubenssätze zu hinterfragen und zu widerlegen, erfordert Mut und einen freien Geist.

SOZIALE KOMPETENZ

Viele Leute haben im Bereich der sozialen Kompetenz ein FM: Sie sind überzeugt davon, dass sich Charakter und Identität im Laufe des Lebens kaum mehr verändern. Wie sich jemand im sozialen Umfeld verhält, bleibt stets gleich, sonst würde man die Person ja nicht mehr wiedererkennen. Mit diesem Mindset wird unerfreuliches Verhalten einer Person als Charaktereigenschaft interpretiert. Die Möglichkeit, dass sich die Person ändern könnte, wird ausgeschlossen.

Plakativ ausgedrückt gibt es im FM zwei „Arschloch-Interpretationsmöglichkeiten“:
❖ Du bist ein Arschloch und das wird immer so bleiben!
❖ Du hast dich immer wieder nicht im Griff und wirst dich immer wieder wie ein Arschloch verhalten.

Da das gemeinsam gebaute Konstrukt der Wirklichkeit selbsterfüllende Prophezeiungen als Mörtel verwendet, ist Veränderung zum Positiven für das „Arschloch“ schwer.

Im Gegensatz dazu würde im GM unerfreuliches Verhalten beim Gegenüber nicht als permanent, sondern als änderbar eingeschätzt. Voraussetzung ist, dass sich die Person, die sich wie ein Arschloch verhalten hat, tatsächlich ändern möchte und fähig ist zu reflektieren.

Persönlich verletzendes oder verbal aggressives Verhalten ist oft die Reaktion auf eine Provokation, aber nur weil jemand mich bewusst oder unbewusst triezt, heißt das noch lange nicht, dass ich „zurückzwicken“ oder „hauen“ oder „kratzen“ muss. Der GFK-Ansatz (Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg), bei dem man versucht, sich auf die Bedürfnisse und Gefühle des Gegenübers zu konzentrieren, ist in diesem Zusammenhang sehr hilfreich.

Wenn mich jemand „angreift“, kann ich versuchen zu erkennen, was dahintersteckt und was die Person gerade für ein Thema hat oder was sie gerade empfindet und wahrnimmt. So kann es gelingen, nicht alles gleich persönlich zu nehmen. Auch tiefes Durchatmen oder ein kurzer Rückzug kann dabei helfen, sich neu zu zentrieren und die Balance wieder zu finden.

Auch die Ernährung spielt zur Vermeidung von Konflikten eine wichtige Rolle. Idealerweise geht man nicht hungrig in heikle Team-Meetings. Vorsicht ist auch beim Konsum von Alkohol geboten, da die (verbale) Kontrolle bekanntermaßen mit steigendem Alkoholspiegel sinkt.

VERÄNDERUNG

Veränderung passiert von innen nach außen. Sie führt zum Erfolg (zwischendurch aber auch zum Misserfolg) wenn die Kräfte des inneren Teams konstruktiv gebündelt werden. Den Begriff „Inneres Team“ habe ich mir von Friedemann Schulz von Thun ausgeborgt. Die LeiterIn des inneren Team-Meetings (=Ich) muss sich entscheiden, welchen inneren Stimmen sie folgt. Im folgenden Beispieldialog sind es sieben innere Stimmen, die auf die Chefin einwirken …

Herr Grau:
Du bist einfach kein Sprachtalent. Es hat überhaupt keinen Sinn, dass du jetzt versuchst Englisch zu lernen. Du vergeudest ja nur deine Zeit. Du bist ja außerdem kein Kind mehr: Kinder lernen Sprachen viel leichter und schneller.

Frau Grün: Natürlich kann ich auch als Erwachsene Englisch lernen und ein hohes Niveau erreichen. Es dauert halt länger, aber ich nehme mir die Zeit.

Frau Gritty:
Da gebe ich dir vollkommen recht. Du kannst es schaffen. Sogar das Niveau C2 ist erreichbar, wenn du konsequent und smart über einen längeren Zeitraum übst und trainierst.

Ich:
Liebe Frau Gün und liebe Frau Gritty. Vielen Dank für die motivierenden Worte. Und nun zu Ihnen lieber Herr Grau: Ich habe vernommen, was sie gesagt haben, und nehme die Herausforderung an. Ich werde mir und dem Rest der Welt beweisen, dass ich alle meine smarten Ziele erreichen kann. Es geht mir nicht nur um Englisch, sondern auch um Deutsch, Mathe und das 10-Finger-System. Ich möchte Bürokauffrau werden und mich später auf Buchhaltung spezialisieren.

Ich will außerdem den Halbmarathon in weniger als 2 Stunden laufen. Mein Krafttrainingsziel ist es, 10 saubere Liegestütze zu schaffen. Auch Jonglieren mit drei Bällen will ich lernen und den Rubik’s Cube möchte ich verlässlich unter einer Minute schaffen.

Herr Scott Adams:
Das kling klasse. Mit jeder Fähigkeit, die du dir aneignest, verdoppelst du deine Chancen auf Erfolg!

Herr David Allen:
Liebe Chefin! Damit du das alles schaffen kannst, brauchst du ein gutes System, denn mit Willenskraft allein hast du keine Chance.

Ich:
Alles klar. Ich werde mir ein gutes System überlegen und dieses auch regelmäßig verbessern. Danke.

James Clear:
Am besten verbessert du dich jeden Tag ein bisschen. Wenn du das über einen längeren Zeitraum machst, wirst du beeindruckend gut werden.

Schweini (= innerer Schweinehund):
Des zaht mi ned.

Ich:
Lieber Schweini! Wenn wir beide mal in Fahrt sind, wirst du gar nicht mehr aufhören wollen. Wir werden jeden Tag Gassi gehen oder gemeinsam laufen, egal ob es uns zaht oder ned! Und dann wären da auch noch die Liegestütze. Das wird fein!

Schweini (= innerer Schweinehund):
Oije. Des wird voi zach.

ICH KANN DAS NICHT MEHR

ICH KANN DAS NOCH NICHT ist als GM-Leitsatz motivierend, wenn man immer wieder kleine Erfolge auf dem Weg zum Ziel zu verzeichnen hat.

Was soll man aber tun, wenn man etwas nicht mehr kann? Früher machte ich bei jeder Gelegenheit Rückwärtssaltos oder auch Flickflacks. Heute muss ich bei diesen Übungen behutsam vorgehen, weil sonst mein Körper rebelliert. Mit dem Alter verändert sich der Körper und die Leistungsfähigkeit sinkt. Durch regelmäßiges Training ist es aber möglich recht lange eine sehr hohe Leistungsfähigkeit zu erhalten.

Johanna Quaas (geboren am 20. November 1925) ist mit bald 98 Jahren die älteste Wettkampfturnerin der Welt. Sie trainiert nach wie vor regelmäßig und hält ein beeindruckendes Leistungsniveau. Außerdem sind starke Laufleistungen bis ins fortgeschrittene Alter möglich. Auch anspruchsvolle Wanderungen und Bergtouren können bei kontinuierlichem Training in fortgeschrittenem Alter bewältigt werden.

Machen Sie am besten keine jahrelange Pause, wenn es darum geht Räder zu schlagen, den Handstand zu üben, einen Felgaufschwung zu machen oder Bücher zu lesen. Kümmern Sie sich um Ihre persönliche Entwicklung, indem Sie sich neue Fähigkeiten aneignen. Auch auf die Erhaltung Ihrer Stärken sollten Sie gewohnheitsmäßig achten. Fördern Sie durch Ihr wachstumsfreundliches Mindset auch die Entwicklung Ihrer Mitmenschen; so sorgen Sie für multiple Glücksgefühle.

Zu guter Letzt noch ein Appell: Hören Sie unbedingt auf Stefanie Kürner, die im Interview zu ihrem 110. Geburtstag meinte, dass viele Leute einfach viel zu früh aufhören mit allem. Hören Sie nicht auf! Bleiben Sie grün, hartnäckig und auch achtsam im Training von Körper und Geist.

110-jährige Stefanie Kürner: "Nur nicht zu früh aufhören!"

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